Neubau-Bw Calbe West

Calbe + Eisenbahn

Calbe - eine kleine Stadt an der Saale. Erstmals urkundlich im Jahr 936 erwähnt, war die Stadt lange Zeit bekannt durch die ansässigen Tuchmacher. Im Jahr 1840 erreichte die erste Eisenbahnstrecke Calbe (Strecke Magdeburg-Halle) und 1879 wurde die zweite Eisenbahnstrecke (Berlin-Blankenheim) eröffnet. Der Bahnhof Calbe/S. Ost liegt an der Stecke Magdeburg - Halle, der Bahnhof Calbe/S. West an der Stecke Berlin - Blankenheim. Im Bahnhof Calbe/S. West schließt auch die Nebenbahn nach Bernburg (und weiter nach Könnern) an. Für ein Bahnbetriebswerk hat es auf beiden Bahnhöfen in Calbe keinen Bedarf gegeben.

Roheisen-Herstellung

Niederschachtofen Calbe; DDR-Sammelkarte ca. 1953

In der jungen DDR existierten um 1950 nur vier Hochöfen zur Roheisenhergestellung. Es fehlte an großen Hüttenwerken/Hochöfen und es musste schnell Abhilfe her. Aufbauend auf theoretische Überlegungen aus den 40er Jahren nahm man die Idee, Roheisen in Niederschachtöfen herzustellen, wieder auf. So begann man 1950 mit dem Aufbau des ersten Niederschachtofens bei Calbe, wo das von einem Forscherkollektiv unter Leitung von Kurt Säuberlich entwickelte Verfahren erprobt wurde. Minderwertiges heimisches Eisenerz aus dem Harz sollte mit Hilfe von Hochtemperatur-Braunkohlenkoks im Niederschachtofen zu Roheisen verhüttet werden

Mit dem ersten Roheisenabstich am 15.10.1951 gingen die Eisenwerke West in Betrieb. Es war die erste Anlage dieser Art weltweit. Bis 1953 entstanden weitere 9 Niederschachtöfen. In jedem dieser insgesamt zehn Öfen konnte eine Tagesleistung von 100 Tonnen Roheisen erzeugt werden, also zusammen 1000 Tonnen pro Tag.

Calbe/S. wurde als Standort für das neue Werk ausgewählt, weil mit zwei Bahnstrecken eine gute Verkehrsanbindung vorhanden war. Denn alle Rohstoffe und auch das produzierte Roheisen sollten mit der Eisenbahn transportiert werden. Das Einzige, was es als "Rohstoff" für einen Niederschachtofen in Calbe vor Ort gab, war das Kühlwasser aus der Saale. Ob auch die Saale zukünftig als potentiellen Transportweg angedacht war, bleibt unklar. Durch den fehlenden Saale-Ausbau auf den 19 von der Mündung in die Elbe bei Barby bis Calbe und der (bis Heute) fehlenden Schleuse Klein Rosenburg ist auf diesem Abschnitt die Schifffahrt nicht ganzjährig möglich - siehe Hier.

Werkbahn

In den Eisenwerken gab es Regelspur-Werkbahn und Schmalspur-Werkbahn (900 mm). Täglich waren 7.000 t Einsatzstoffe, 1.000 t flüssiges Roheisen, 2.000 t flüssige Schlacke, 1.000 t Roheisenmasseln und 3.000 t Schlackegranulat zu transportieren. An Werklokomotiven wurden u.a. von der DR übernommene Dampflokomotiven eingesetzt. Nachweislich waren u.a. 56 126 sowie 74 103, 74 154, 74 184, 74 234, 74 319 und 74 346 als Werkloks im Einsatz.

Neuer Übf + neues Bw

Obwohl das Eisenwerk bahntechnisch an den Bahnhof Calbe/S. Ost angebunden war, wurde nordöstlich vom Bahnhof Calbe/S. West ein neuer Übergabebahnhof errichtet. Von und bis hier übernahm die Werkbahn den Transportaufgaben im Werk. Hauptgrund für den neuen Übergabebahnhof war der Umstand, das nahezu alle Erz-Züge aus dem Harz über Güsten anrollten und so (fast) direkt in das Werk rollen konnten.

Da sich das nächste Bahnbetriebswerk in Güsten (17,6 Strecken-km = KBS 682), Bernburg (17,3 Strecken-km = KBS 671) und Köthen (22,7 Stecken-km = KBS 730) befand, hielt man für den Verkehr zum und vom Eisenwerk ein neues Bahnbetriebswerk für nötig = das Neubau-Bw Calbe West.

So entstand in den Jahre 1952/1953 zwischen dem ebenfalls neuen Übergabebahnhof und der Abzweigstelle Tornitz das neue Bahnbetriebswerk. Es entstand ein großes Sozialgebäude, Bekohlungsanlagen, Sandanlage, ein Wasserturm sowie eine Drehscheibe sowie ein Rechteck-Lokschuppen. Eine durchaus beachtliche Bauzeit, wenn man die damaligen Umstände bedenkt. Das ganze Bw war echt großzügig angelegt, an Platz mangelte es an der neuen Stelle nicht. Da nur Güterverkehr vom und zum Eisenwerk zu befördern war, sollten hier nur Güterzuglokomotiven der BR 44 und BR 50 sowie Rangierlokomotiven repariert, restauriert und unterhalten werden.

Der Gleisplan vom Bw Calbe West zu DR-Zeiten

Zwischen 1953 und 1955 wurde der neue Lokschuppen von der DR zur Reparatur von Güterwagen genutzt.

In einem Schreiben vom 25.09.1956 teile der Präsident der Rbd Magdeburg dem Verkehrsminister der DDR mit, das die "Verfügung des Staatssekretärs zur Inbetriebnahme des Bw Calbe/West" vom November 1955 in drei Stufen erfolgen solle. In der ersten Etappe sollten 5 Loks der BR 50 sowie 5 Rangierloks in Calbe beheimatet werden. In der zweiten Etappe sollten alle Leistungen vom Bw Bernburg nach Calbe verlagert werden und Bernburg sollte nur noch als Lokbf. für zwei Rangierlokomotiven dienen. Auch die gesamte Werkstattausrüstung sollte von Bernburg nach Calbe umgesetzt werden. In der dritten Etappe sollte der Lokbestand durch vier weitere BR 44 auf insgesamt 17 Lokomotiven anwachsen (6 x BR 50, 4 x BR 44, 5 Rangierloks, 1 Reservelok, 1 Auswaschlok).

Ein neuer Bahnsteig sollte nahe dem Abzweig Tornitz errichtet werden, um für alle Personenzüge dort einen Verkehrshalt einzurichten. Denn das gesamte Personal vom Bw Bernburg sollte nach Calbe pendeln. Für die Zeiten ohne öffentlichen Zugverkehr sollten Dienstpersonenzüge (VT) zwischen Calbe und Bernburg verkehren. Ein Umzug nach Calbe stand für die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten nicht zur Diskussion.

Das berechneten und erhofftem Transportvolumen schien es nicht ganz so "nach Plan" zu entwickeln. Das neue Bw war für eine weitaus höhere Leistung der EWW ausgelegt. Zeitweise wurden nur 15% der prognostizierten Transportleistung benötigt. Einen ungenutzten Leerstand vom neuen Bw konnte und wollte sich die DR nicht dauerhaft leisten. Schon im Oktober 1956 suchte die Rbd Magdeburg als Eigentümer nach Möglichkeiten, das neue Bw besser auszulasten. Es gab Überlegungen, die gesamte Unterhaltung und Instandhaltung von allen Rottenkraftwagen, Gleiskraftwagen und Draisinen in der Rbd Magdeburg zentral im Bw Calbe West zu konzentrieren. Ebenso sollte die Altbau-Triebwagen sowie die bald eintreffenden Triebwagen der BR 171/172 in Calbe unterhalten werden, incl. Aufarbeitung der Dieselmotoren. Die Unterhaltung dieser Triebwagen erfolgte bislang im Bw Aschersleben Gbf. Und es war Ende der 1950er Jahre die Herstellung und Auslieferung neue Doppelstock-VT geplant. Diese vier- bzw. dreiteiligen Einheiten (92 bzw. 69 m lang) sollten im 2. Fünfjahrplan geliefert werden und ebenfalls in Calbe unterhalten werden. (*1) Sollten die neuen Doppelstock-VT vor der vollständigen Einrichtung der Werkstatt in Calbe eintreffen, wollte man diese vorübergehend in Aschersleben Pbf (Langschuppen) warten und Instand halten.

Parallel zu den eigenen Auslastungsversuchen der Reichsbahn meldete sich schon Ende 1955 das EWW bei der DR, um Teile vom neuen Bw für ihre Werklokomotiven mit zu benutzen. Dabei ging es weniger um die Instandhaltung, sondern mehr um die tägliche Lokunterhaltung (also Wasser + Kohle etc.)

Und schon im Frühjahr 1957 suchte der VEB MONTAN den Kontakt zur DR, um Teile des Bw für ihre Zwecke nutzen zu dürfen. Die Verantwortlichen der Rbd Magdeburg war wohl zu diesem Zeitpunkt schon klar, das ihre Erwartungen an das neue Bw Calbe/West in Punkto Auslastung/Neuorientierung nicht zu halten sind. Im Frühling/ Sommer 1957 wurden die ersten Vertragsentwürfe zur Abgabe von Teilen des Bw sowohl an den VEB MONTAN als auch an den VEB Eisenwerke West geschrieben.

Die Zuständigen in der Rbd Magdeburg haben wohl in der Zwischenzeit eingesehen, das ihr schönes neues Bw zukünftig keine angemessene Verwendung und Auslastung finden wird. Alle Versuche dahin gehend verursachten erst einmal weitere erhebliche Kosten. Daneben war es kaum möglich, die nötigen Arbeiter von Bernburg und Aschersleben nach Calbe zu "locken".

Nun sollte Alles ganz schnell gehen. Die Beräumung des Lokschuppens sollte seitens der DR bis zum 15.06.1957 erfolgen. Die Auswaschanlage wurde zum Bw Oebisfelde umgesetzt und die 23m-Drehscheibe soll nach Eilsleben wechseln. Die bisher in Calbe vorgenommenen Arbeiten an den Dampfloks wurde kurzfristig eingestellt und wieder im Bw Güsten und Bw Bernburg vorgenommen. Die Überschreibung vom DR-Eigentum (Land & Anlagen) hin zu den neuen Eigentümern EWW und MONTAN zog sich in den Büchern bis 1959 hin. Der Wunsch der EWW, die ausgebaute 23m-Drehscheibe durch eine andere mit mindestens 16m Bühnenlänge zu ersetzen, fand bei der DR kein Gehör. Die Gleisanlagen wurden nach der Übernahme durch die neuen Eigentümer verändert.

Das Ende

Im Jahr 1959 fand die Umbenennung vom VEB Eisenwerke West in VEB NOW Niederschachtofenwerk Calbe statt. Mitte der 60er Jahre stellte sich heraus, das trotz einiger Prozessverbesserungen das Roheisen in den Niederschachtöfen nicht dauerhaft & rentabel mit hoher Qualität herzustellen ist. Der letzte Roheisenabstich erfolgte am 08.05.1970.

Zwischen 1969 und 1971 entstand auf dem Gelände der Niederschachtöfen eine Großverzinkungsanlage, ein Metallleichtbaubetrieb und ein Gasbetonwerk. Die Gleisanlagen wurde angepasst und viele Gleise verschwanden ganz. Ebenso wurde die 900 mm - Werkbahn vollständig zurück gebaut.


Das Gelände vom Bw Calbe West wurde nach Beendigung der kurzen aktiven "Bahnzeit" vom VEB MONTAN und den VEB Eisenwerken West genutzt. Das Areal vom VEB MONTAN wechselte später zum VEB Förderanlagen Calbe. Seit 1995 nutzt die Recyclingfirma DOPPSTADT das Gelände.

2024 sind immer noch bahntypische Gebäude klar erkennbar, so der Wasserturm sowie das Sozialgebäude. Etwas westlich entfernt vom Wasserturm sind noch Reste vom Kohlenbansen erkennbar und auch Fundamente von einem Bekohlungskran sind noch vorhanden (beides mittlerweile von einer Kleingartenanlage umzingelt).


Sommer 1986, ich bin zur Mittagszeit mit P 4425 auf dem Weg von Aschersleben nach Belzig. Vor wenigen Minuten bin ich in Calbe/S. West abgefahren (KBS 682) und passiere nun zur Rechten das Gelände vom VEB Förderanlagenbau Calbe (ehem. Bw Calbe West). Deutlich ist der große gemauerte Wasserturm zu sehen. Hinter der Pappelreihe befinden sich die Sozialgebäude. Das Lichtvorsignal gehört zum Bocksignal der Abzweigstelle Tornitz und zeigt "Fahrt frei erwarten".


*1: In meinen gesamten Dienstzeit sowohl bei der DR als auch bei der DB AG habe ich bislang noch nie etwas von Doppelstock-VT gehört. Da waren die Recherchen in den Unterlagen zum Bw Calbe im wahrsten Sinne eine ÜBERRASCHUNG. Wenn jemand zu diesen nie gelieferten Doppelstock-VT nähere Informationen hat, wäre ich über eine Kontaktaufnahme dankbar.

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